Montag, 25. Februar 2008

Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom?


Ob der hellere der beiden Briefkästen erst nachträglich angebracht worden ist, weil der dunkle optisch in der Bretterwand verschwindet? Genügt hat es allem Anschein nach jedoch immer noch nicht, so dass mit großen Lettern und Pfeilen nachgeholfen werden musste. "Hallo Briefträger - hier bin ich, guck doch, ja, auch wenn es nicht so aussieht, der Schuppen ist bewohnt."
Andere Idee: Der helle Briefkasten war neidisch auf den dunklen Nachbarn. Der war nämlich schon immer dort, ein alt-eingesessener Kasten, jeder kennt ihn, dort gehört er hin.
Eines Tages kommt plötzlich so ein neuer,
schicker Postkasten daher, wird ganz nah neben dem alten an der Bretterwand festgeschraubt. Der neue will so gar nicht in das Bild passen...seine frisch gestrichene Oberfläche, die helle Farbe, der Duft nach Baumarkt...
Am nächsten Morgen kommt der Briefträger auf den Hof
geschlendert und - wirft die Post wie eh und je in den nun schon völlig durchgerosteten alten Kasten, der seine Briefe nicht mehr bei sich behalten kann. Argwöhnisch und von Neid geplagt beobachtet der Neue das tägliche Geschehen. Er putzt sich raus, leuchtet in sattem Creme (was hier nicht erkennbar ist, aber glaubt mir, ich war dabei!), doch stets vergebens - der Mensch als Gewohnheitstier, so auch der gemütliche Briefträger, mag das altbekannte, auch wenn es hier und da ein wenig an Funktionalität eingebüßt hat. Langsam wird der Cremige unruhig, er grübelt und heckt schließlich einen unfehlbaren Plan aus: Eine eindeutige Botschaft muss her: Ich bin DER Briefkasten, hier kommen Briefe, Zeitungen, meinetwegen auch Werbung und Rechnungen hinein - hier und NUR hier.
Geplant, getan. Am nächsten Tag wundert sich der träge Briefträger: "Briefkasten? Aber das weiß ich doch, ist schließlich mein täglich Brot," murmelt er, die Post schon in der ausgestreckten Hand. Diese steuert zielstrebig wie jeden Morgen den rostigen, bodenlosen Kasten an, lässt die Briefe hinein - und Sekunden später für den schwerhörigen Mann nicht vernehmbar - auf den Kiesboden hinunter gleiten.
"Ist denn das die Möglichkeit, wie blöd kann...,"
grummelt der aufgebrachte neue Kasten und verstummt mitten im Satz, denn es kommt ihm eine neue Idee. 'Vielleicht war der Ort der Beschriftung nicht glücklich gewählt. Vielleicht braucht der alte Mann eine klare Ansage - vielleicht helfen da nur noch klare, archaische Symbole. Ja, so wird es funktionieren, es muss!,' denkt sich der Cremige und holt in der nächsten Nacht, sobald der Rostige eingeschlafen ist, noch einmal den Eimer Farbe und einen Pinsel hervor, drappiert um sich herum sieben weiße Pfeile, die seine Vorherrschaft untermalen sollen.
Tags darauf staunen beide Kästen nicht schlecht: Ein neuer, junger Briefträger schreitet dynamischen Schrittes auf den Hof, begutachtet amüsiert die bemalte Schuppenwand und wirft mit einem Lächeln im Gesicht seine Briefe in den
Cremigen. Erst jetzt merkt der Alte, dass seine Zeit wohl gekommen ist. Zuvor hatte er auf seinen morbiden Charme und sein inniges Verhältnis zum schwerhörigen, schlurfenden alten Briefträger vertrauen können. Doch nun war eine neue Zeit angebrochen: Die der cremigen und dynamischen.